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3 Fragen an Prof. Dr. Holger Müller der HTWK Leipzig zu Einkauf 4.0

Porträtbild
Prof. Dr. Holger Müller, Professor für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Supply Chain Management, Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK)

Seit 2013 hat Prof. Dr. Holger Müller die Professur für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Supply Chain Management, an der Hochschule für Technik Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK) inne. In den vergangenen Jahren wirkte der Experte federführend an zahlreichen Studien zum Thema Industrie 4.0 und Einkauf 4.0 mit. 2004 erhielt er für seine Dissertationsschrift den BME-Wissenschaftspreis. In der neuen Newtron-Serie „3 Fragen an“ spricht Müller über den Status von Einkauf 4.0 und die Herausforderungen in der Digitalisierung.

Industrie 4.0 ist in aller Munde. Was genau steckt hinter dem Begriff?

Prof. Dr. Holger Müller: Der Begriff Industrie 4.0 wird noch sehr unterschiedlich interpretiert. Primär gibt es meiner Meinung nach allerdings zwei Richtungen, in die wir uns aktuell bewegen: Digitalisierung und digitale Transformation. Digitalisierung meint, traditionelle, zentral gesteuerte Prozesse durchgehend elektronisch zu unterstützen und dadurch weiter die Effizienz zu steigern. Dies findet in der Industrie bereits seit Jahrzehnten statt, trägt eher evolutionären Charakter. Die vierte industrielle Revolution sehe ich in der digitalen Transformation, die noch einen Schritt weitergeht. Hier werden nicht nur die am Produktionsprozess beteiligten Produkte, Maschinen, Behälter usw. miteinander vernetzt, sondern sie erhalten auch jeweils eine gewisse Entscheidungskompetenz über Regeln und Algorithmen. Dadurch erfolgt eine dezentrale, quasi autonome Steuerung des Produktionsprozesses. Damit werden die klassischen Planungs- und Steuerungsprozesse obsolet, es können neue Geschäftsprozesse und -modelle entstehen. Entscheidend ist dabei, dass Elemente in einer Art „Plug&Play“ am System einfach angemeldet werden und dann mitarbeiten können. Im Wohnbereich sehen wir das heute schon etwas vereinfacht, wenn wir internetfähige Geräte ohne große manuelle Konfiguration ins Heimnetzwerk integrieren, die dann Bestandteil unseres „Smart Homes“ sind.

Wie werden sich Wertschöpfungsketten in Hinblick auf diesen Trend verändern?

Prof. Dr. Müller: Schon heute ermöglichen es beispielsweise Clouds in Verbindung mit Big-Data-Analytics-Technologien prinzipiell Transparenz in Lieferketten zu bringen, allerdings sind insbesondere natürlich noch Probleme der Datensicherheit zu lösen. Oder der 3D-Druck könnte einige Wertschöpfungskette zumindest in Bereichen radikal verändern. Einkäufer werden künftig in der Lage sein, Engpässe im Vorfeld zu erkennen und nicht erst, wenn sie vor fast leeren Lagerregalen stehen. Zudem steigt die Reaktionsfähigkeit und Flexibilität. Die digitale Transformation baut allerdings auf der Digitalisierung auf. Somit müssen erst einmal die Basisprozesse wie elektronische Katalogbestellungen oder Ausschreibungen sicher durchgängig beherrscht werden. Eine Schwierigkeit, die ich aktuell in diesem Zusammenhang sehe, sind die vielen individuellen bzw. individuell konfigurierten Systeme, die in der Umsetzung angewendet werden. Schnittstellenprobleme sind die Folge. Hier empfiehlt es sich, Anbieter zu nutzen, die mit dieser Vielfalt umzugehen wissen und eine Art Kommunikationsdrehscheibe bereitstellen können.

Wohin wird die Reise für den Einkauf 4.0 bzw. den Einkäufer gehen?

Prof. Dr. Müller: Die Reise hat aus meiner Sicht noch gar nicht wirklich begonnen. Der Einkauf 4.0 steckt in den Kinderschuhen. Aktuell stellt die Digitalisierung noch viele Hausaufgaben, obwohl diese bereits in der Breite mit Beginn der kommerziellen Internetnutzung in den 1990er-Jahren Einzug gehalten hat. So zeigen unsere Studien, dass nach über 20 Jahren beispielsweise in lediglich 40 % bis 50 % der Unternehmen im strategischen Einkauf Systeme vorhanden sind, die Auktionen und/oder Ausschreibungen digital abwickeln. Im Bereich der katalogbasierten Beschaffung – als Vorreiter der Entwicklungen – sind zwar in 70 % bis 80 % der Unternehmen entsprechende Anwendungen vorhanden, diese werden jedoch kaum vollumfänglich genutzt. Besonders KMUs zögern nach wie vor digitale Lösungen intensiver einzusetzen. Digitalisierung wie auch digitale Transformation sind also offenbar keine Prozesse, die von heute auf morgen stattfinden. Der traditionelle Beruf des Einkäufers wird sich in diesem Zusammenhang sicher verändern. Nicht mehr die operativen, sondern die strategischen Aufgaben rücken in den Fokus. Aus dem Einkäufer wird ein Analyst und Netzwerkmanager, der automatisierte Wertschöpfungsketten steuert und überwacht. Er ist derjenige, der das Versorgungssystem gestaltet und nur bei Problemen operativ eingreift. Aber wie gesagt, bis dieser Punkt erreicht ist, dauert es.

Sie kennen die von Prof. Dr. Müller genannte Schnittstellen-Problematik?
Funktionierende Schnittstellen sind für das nahtlose Zusammenspiel unterschiedlicher Plattformen der Dreh- und Angelpunkt. Sie sind allerdings auch eine ständige Herausforderung, etwa wenn es darum geht, Fremdsysteme an eigene ERP Systeme anzubinden. Newtron analysiert zusammen mit dem Kunden den Ist-Zustand, geht mit ihm die Kernprozesse durch und definiert das Ziel. Dann setzen wir die Schnittstellenprogrammierung um und implementieren die Lösung in die Infrastruktur. Haben Sie Fragen dazu? Nehmen Sie Kontakt mit uns auf.

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